Ein Auge öffnen. Ganz still liegen. Draußen vor dem Fenster ein wundervolles, helles, warmes Licht. Es fällt auf deine weißen Lieblingsrosen und auf die violetten wilden Malven und dieses ganze unglaubliche Grün. Die Decke wegwerfen und hinauslaufen in den Garten. Die Hunde hören dich und folgen dir bellend. Sie springen an dir hoch, während du die Arme hochwirfst und dich um dich selber drehst. Immer wieder. Dieser Tag gehört dir. Heute wirst du alles schaffen und niemand kann dir etwas anhaben. Du fühlst dich so gut, so stark und alles kann kommen. Du wirst bereit sein. Alles ist möglich. Kann losgehen. Nun aber schnell.
Ein Schleier zieht über den Himmel. Aber das Licht lockt dich immer noch. Vorsichtig schiebst du die Decke beiseite, richtest dich langsam auf und stellst die Beine auf den Boden. Die Hüfte schmerzt, ein Krampf zieht durch deine Wade, der Rücken ist steif. Du streckst dich langsam nach dem Bademantel und ziehst ihn um dich. Der Weg in den Garten ist nicht weit. Nur zwei Stufen und ein Geländer gibt es auch. Die Rosen duften. Langsam tapsen die beiden alten Hunde hinter dir her. Fuß vor Fuß, darauf achtend, wo du hintrittst, gehst du mit ihnen den Gartenweg entlang. Genießt die Wärme. Nimmst ein wenig Schnittlauch und Basilikum mit hinein. Eigentlich ist heute ein Einkaufstag. Aber du hast keine Lust auf das Gewühl im Supermarkt und den vollen Parkplatz mit lauter Chaoten, die es eilig haben. Du siehst dein aufgeschlagenes Buch auf dem Gartentisch und freust dich darauf, heute in der Sonne lesen zu können. Vielleicht könntest du eine Fahrradtour planen für morgen. Einige Rosen wollen geschnitten werden und die Terrasse dringend gekehrt. Der Rücken ächzt schon bei der Planung. Du freust dich am meisten darauf, die Tautropfenfotos von gestern zu bearbeiten und gleich ein paar neue Photoshop Features auszuprobieren. Der Kaffeeautomat startet sein morgendliches Konzert und während der Duft durch die Küche zieht, bist du so dankbar dafür, dass du nicht auf der Autobahn stehst auf dem Weg zum Job und die Nachrichten das dritte Mal hörst.
Du genießt die Langsamkeit des Morgens, während du mit Strecken und Dehnen die alten Knochen für noch einen Tag zusammen baust. Bist du bereit, für alles, was kommt? Der Tag gehört immer noch dir. Dieser noch. Vielleicht auch der nächste. Du bist verletzlich geworden. Aber heute ist heute. Und weil du endlich in der Welt angekommen bist und sie nun achtsam betrachtest, kann so viel passieren. Mikroabenteuer. Erstaunlichkeiten. In jeder Minute dieses Tages, der ganz dir gehört.




Optimal hört sich das an!