Das Land der Maler und Dichter

… ist nicht wirklich ein Land, sondern eine außergewöhnliche Landschaft. Nicht umsonst zog das Land rund um die Künstlerkolonie Worpswede vor allem die Landschaftsmaler an. Dies ist keine Berichterstattung über Worpswede und die großartige Geschichte seiner Künstlerkolonie, die man überall nachlesen kann. Ich habe zwar Rilkes Buch dabei, werde aber keine Ausstellung besuchen. Wahrscheinlich nicht. Ich will die Zeit hier für diese Landschaft, für die Sonnenauf- und -untergänge, für den Schatten der Kiefenwälder und den Heuduft der Wiesen und die stummen Niederungen der Flüsse. .

 „Und da lagen nun vor den jungen Leuten, die gekommen waren, um sich zu finden, die vielen Rätsel dieses Landes. Die Birkenbäume, die Moorhütten, die Heideflächen, die Menschen, die Abende und die Tage, von denen nicht zwei einander gleich sind, und in denen auch nicht zwei Stunden sind, die man verwechseln könnte. Und da gingen sie nun daran, diese Rätsel zu lösen.“ (Rainer Maria Rilke, Worpswede, 1902)

Gerade jetzt ist diese Landschaft unglaublich grün. Die zweite Heuernte hat begonnen und der Duft von trocknendem Gras liegt wie ein Rauschmittel über den weiten Wiesen. Zwischen den Feldern stehen Gruppen von weißen Birken, deren hellgrünes Laub sich im Wind wiegt wie in einem endlosen Tanz. Kiefernwälder spenden Schatten. Die Bäche und mäandernden Flüsse glitzern und krönen sich mit Seerosenblüten.

Alte Holzzäune markieren die Weidegebiete von Kühen, Schafen, Pferden. Brücken wölben sich stolz über den Bächen, Blütenmeere ziehen sich an den Wegrändern entlang.

Über diese Brücke führt die Hauptbahnlinie. Alle Straßen und Wege scheinen Alleen zu sein, die Schatten spenden: Birkenalleen, Pappelalleen, Eichenalleen. Die kleineren Wege davon oft mit dem alten Kopfsteinpflaster (was schön ausschaut, aber weder zu Fuß noch mit dem Fahrrad Laune macht.)

Niedersachsenhäuser und Höfe reihen sich an den Wegen entlang wie Bilderbuchzeichnungen. Bauerngärten mit mannshohen Blütenmeeren und im Vorgarten ein paar Highland Rinder- was will man mehr. Oder eben eine Nummer kleiner: dann hat man glückliche Schweinchen im Vorgarten.

Kunst ist hier überall. An jedem Haus, in jedem Garten, versteckt im Wald oder einfach am Wegrand. Gestaltetes, Gerostetes, Gefundenes, naturnah oder bunt, selbstgemacht oder als Kunst gekauft – die Grenzen sind völlig fließend.

Ich habe vor Jahrzehnten einmal im nördlichen Bremen gelebt und bin am Wochenende durch die Wümmewiesen und nach Fischerhude geradelt. Oder die Hamme entlang bis nach Worpswede und ins Teufelsmoor. Damals war das E-Bike nicht erfunden. Aber die Landschaft ist flach und Stunde um Stunde vergeht mit Staunen und man will immer weiter und sich vollsaugen mit den Bildern und sie speichern für immer.

Das ist heute immer noch so. Ich habe mir frühmorgens und spätabends die Wege mit den Rehen geteilt und mit den Füchsen. Ich habe das erste Mal in meinem Leben einen Seeadler in freier Wildbahn gesehen, gleich zweimal oder waren es zwei? Und Steckmücken so groß wie Ponys.

Es waren wundervolle Morgendämmerungen und sanfte Abende, wenn die Hitze sich nach Sonnenuntergang zurückzog und die Schatten übernahmen. Es gab kein Programm, keine Besichtigungstermine, meine Stippvisite in das immer noch von Touristen überlaufene Bremen habe ich bereut. Immerhin gab es Gebäck und Lakritz aus der Schnoor als Mitbringsel für die Lieben und ein Dutzend Gosch Garnelen als Stärkung für die Abendtour ins Grüne.

Morgen habe ich noch ein paar Aufnahmen von einem Morgen in den Hamme Niederungen. Ein Dank geht an dieser Stelle an mein tapferes, jetzt schlammverkrustetes E-Bike, das wacker auf dem Fahrradträger hunderte von Kilometern vor sich hin geschaukelt hat, jeden noch so schmalen Weg und viel Kopfsteinpflaster gemeistert hat, meine abrupten Stopps und Wendungen überlebt hat und viel Geduld mit mir gehabt hat. Nur beim Seeadler hätte es mich fast hingeworfen. Ich habe keine Bilder von ihm mitgebracht, es war einfach zu wenig Licht. Dank schulde ich auch dem Erfinder der Auffahrschiene. Wer schon einmal versucht hat in meinem Alter ein E-Bike gerade vor sich hoch auf einen Fahrradträger hinauf zu hieven, der wird verstehen, was ich meine.

Ein Fahrrad ist wie geschaffen für diese Gegend. Die einzige Alternative die Naturschutzgebiete zu erforschen wäre das Wandern. Nicht so meins. Wer die Gegend noch nicht kennt: Das ist eine echte Empfehlung für Fotografen, Naturliebhaber und Freunde des norddeutschen Plattlandes. Im späten September und im Oktober wird der Touristenstrom spärlicher und das Land ist immer noch üppig.

6 Gedanken zu „Das Land der Maler und Dichter

  1. Ah, diese wunderschönen Nebel und die süßen Schweinchen! Die Schatten bei den Hochlandrindern sind ganz hart und wäre da nicht der Nasenring würde man das schwarze Rind gar nicht sehen, unsichtbar durch schwarzes Fell 🙂

  2. fantastische Eindrücke hast du uns hier vermittelt, es muss sich gut leben in solchen Landschaften, die von künstlerischen Augen um und umgepflügt wurden

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Verwandte Beiträge

Beginne damit, deinen Suchbegriff oben einzugeben und drücke Enter für die Suche. Drücke ESC, um abzubrechen.

%d Bloggern gefällt das: