Die Insel: Beredtes Schweigen und ein großes Glück

Tante Lovely sitzt neben Callum auf der Kaimauer und baumelt mit den Beinen. Sie schweigen. Viele der Inselbewohner suchen Callum auf, wenn etwas ihr Herz bewegt oder sie etwas nicht aus dem Kopf bekommen können. Sie müssen nichts sagen. Sie sitzen einfach still neben ihm, während er seine Pfeife raucht. Und irgendwann löst sich in ihnen ein Knoten. Im Herzen oder im Kopf. In den meisten Fällen. Irgendwie hat Callum damit zu tun, obwohl niemand sagen kann, wie das funktioniert.

Heute hat Tante Lovely aber eine Frage, bei der es gar nicht um sie selbst geht. Vorne am Ende des Kais wirft Pal seine Angel aus. „Wie fühlt man sich wohl? So als unbeschriebenes Blatt? Will er denn gar nicht wissen, wer er ist?“ fragt sie Callum. „Er muss sich doch inzwischen an irgendetwas erinnern, an irgendwas über sich oder aus seiner Vergangenheit? “

Callum lässt sich Zeit, als müsse er darüber nachdenken. Dann nimmt er seine Pfeife aus dem Mund: „Er weiß, was er wissen möchte. Muss man wirklich mehr wissen?“

Eigentlich ist das Tante Lovely zu hoch. „Ein Mensch hat eine Vergangenheit, Familie, Freunde. Erlebnisse, die ihn zu dem machen, der er ist.“ Callum steht auf. „Frag ihn“, sagt er und deutet mit der Pfeife auf Pal. Gemächlichen Schrittes stapft Callum den Hügel hinauf. Tante Lovely war nicht willens aufzugeben. Also schürzte sie den Rock, hüpfte von der Mauer und schlendert wie zufällig – hofft sie – den Kai entlang bis sie neben Pal steht. Der sieht sie an und lächelt breit. Nie wird er vergessen, wer sich um ihn gekümmert hat zu Beginn. Und immer dankbar sein.

„Geht es dir gut?“ fragt sie ihn. Pal lächelt weiter: „Prima:“ Ok, dann anders, dachte Tante Lovely. „Ist dir irgendetwas wieder eingefallen? Von Zuhause meine ich? Oder was passiert ist?“ Diesmal schwand Pals Lächeln und er starrte eine lange Weile über das Meer. Dann wandte er sich ihr langsam zu; sah ihr direkt in die Augen und sagte: „Es brauchte einen Sturm, bis ich sein konnte, was ich bin. Jetzt bin ich hier Zuhause. Ich gehöre zu Callum“.

Sie sahen sich schweigend in die Augen. Und dann war da war irgendwo ein langes, stummes Gespräch zwischen ihnen, Fragen, Verstehen, Akzeptanz und dann Sympathie. Als das Schweigen vorüber war, sagte Pal zu ihr: „Gehen wir nach Hause?“. „Na klar“, antwortete Tante Lovely und rückte ihren Hut zurecht und hakte sich bei ihm unter. „Weiß Callum das auch?“ fragte sie Pal. „Wenn die Zeit kommt“, antwortete Pal und lächelte schon wieder.

2 Gedanken zu „Die Insel: Beredtes Schweigen und ein großes Glück

  1. Meistens hinterlasse ich hier ja nur ein Sternchen, heute aber möchte ich dir wieder einmal sagen, dass ich deine Inselgeschichten sehr mag und mich immer auf die Fortsetzung freue.
    Liebe Grüße
    Ulli 🌞

    1. Das freut mich. In diesen grauen Tagen lebe ich manchmal die Hälfte des Tages auf dieser Insel, beim Hundespaziergang, beim Brot backen… Und ich sehe diese Menschen miteinander umgehen, die Charaktere entwickeln sich einfach weiter wie von selbst und ich verspreche, es wird noch manch Winkeliges und Seltsames passieren.

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