22. November 2020
Adrian sinniert heute früh über das Warten. Das kann ich gut nachvollziehen. Wir warten. Darauf, dass das Leben wieder anfängt. Nun bin ich ein ungeduldiger Mensch. Geduld war wahrlich nie meine Stärke. Warten ist für mich wie Stehen am Bahnsteig, wo es zieht. Wie Sitzen im Wartezimmer zwischen Kranken, wie Anstehen in vier Reihen an der Snackbar im Kino, wie im Stau stehen auf der Autobahn. Warten ist Zeitverschwendung. Und kommt mir jetzt nicht mit „Warten auf das Christkind“. Corona stiehlt mir Lebenszeit und ich gehöre zu denen, die begonnen haben, eifersüchtig darüber zu wachen. Da hilft auch kein „Wie gut es es bisher im Leben doch hatten – so im Vergleich“. Und kein „uns geht es doch noch gut dabei, schau mal die anderen, die…“
Und nach Monaten der Einigelung tue ich mich auch mit den kleinen Glücksmomenten schwer, um die es in diesem November Tagebuch geht. Neulich habe ich einen Tag geschummelt, gemerkt?
Natürlich geht es uns „gut“. Wir essen und trinken, bloggen über 7-Kilo-Gänse, lesen mehr Bücher, gucken Netflix, skypen, haben Videokonferenzen, werden kreativ, basteln und renovieren. Gehen spazieren, kaufen Mountain Bikes, gehen zum Friseur… es geht doch noch so vieles. Und wir planen, auch große Dinge – aber irgendwie immer mit einem kleinen Angstfaktor, oder?
Aber diese Erde wird sich weiter drehen, sie hat schon weit mehr überstanden. Aus einem Dossier von Finanzexperten der Sparkassen: Vor diesem Hintergrund ist nach derzeitigem Kenntnisstand und nach Analyse diverser Studien zu diesem Thema davon auszugehen, dass die globale Ausbreitung des Corona Virus sehr wohl eine Auswirkung auf die Weltwirtschaft hat, dieser Effekt allerdings nicht allzu gravierend sein sollte und in etwa 12 Monaten egalisiert sein sollte.
Ähnliches las ich auch über andere, ältere Pandemien. Die Überlebenden erlebten oft eine schnelle Erholung der Verhältnisse, zum Teil einhergehend mit bedeutenden Verbesserungen. Ob die Menschen etwas über ihr Zusammenleben gelernt haben, bleibt abzuwarten.
Und selbst wenn ich zu den Überlebenden gehöre, beim Warten hilft das nicht. Meine Zeit läuft viel zu schnell. Ich versuche wirklich, kreativ zu sein beim Nutzen dieser Zeit jetzt.
Was habt ihr getan?
Dieses Thema greife ich heute noch einmal auf und frage euch: Was habt ihr in der vergangenen Pandemiezeit getan, das ihr bisher noch nie zuvor getan habt? Was habt ihr zum ersten Mal in euren Leben gemacht? Oder es auf andere Art getan? Oder mehr getan? Ich freue ich auf eure Antworten hier oder Artikel, die ihr verlinkt. Hier meine Antworten, die vielleicht noch gar nicht vollständig sind:
- Rostgemälde und Holzbilder erschaffen mit einer neuen Technik, die ich bisher nicht kannte oder genutzt habe, weil ich zuvor keine Zeit, es zu lernen.
- Tomaten und Kräuter aus Samen gezogen.
- Definitiv mehr „Nicht-Thriller“ gelesen.
- Viel, viel mehr Natur fotografiert und draußen gewesen.
- Über den Schatten gesprungen und mich mit Themen beschäftigt, die ich lange prokrastinierte: Wald(licht) Fotografie, Brötchen backen.
- intensiver Telefonkontakt gehalten zu Menschen, zu denen der Kontakt vorher eher lose war.
Dieses Holzbild heißt „Irrlichter“ und spiegelt die warmen Sonnenflecken gestern in der goldenen Stunde im Wald.
Erstmal. schön zu lesen, dass du zu den Ungeduldigen gehörst. Und auch schön, dass du dir die Fragen stellst, die du dir stellst, „Was habe ich während dieser Zeit erstmals bzw vermehrt getan“.
Ich bin in einer etwas anderen seelischen Verfassung, denn ich glaube nicht, dass es „vorbeigeht“. Und das macht es extrem schwierig. Drum habe ich auf meinem Blog die Frage gestellt, was jedem einfällt als „lebbare, umsetzbare Alternative“, um aus der Misere des Nicht-mehr und Höchstens-noch herauszukommen. Leider habe ich dazu keine Antwort erhalten. Die, die antworteten, waren LeserInnen, die die einschränkenden Maßnahmen nicht für zielführend halten und sie deshalb ablehnen (wie auch ich). Manche versuchen, sich damit einzurichten und positiv auf die Umwelt einzuwirken, andere sind voll damit beschäftigt, gegen den Alptraum anzukämpfen, und können sich daher auf keine positiven Alternativen konzentrieren.
Ich selbst gehe einen Mittelweg, denn ich bin zu alt, um einfach auf „bessere Zeiten“ zu warten. Also lebe ich so gut ich kann. Konkret bedeutet das, dass ich fast so lebe wie vorher: Spaziergänge in der Natur mit und ohne Freunde, Therapiestunden geben, Zeichnen, am Kamin sitzen, Lesen, dann und wann einen Film im TV anschauen, mich mit meinem Mann unterhalten, Briefe schreiben, Bloggen. Ich vermeide, irgendwo hinzugehen, wo ich Masken sehe oder selbst eine tragen muss, ignoriere ansonsten die Regeln, zB dass man nach 9 nicht mehr auf die Straße darf oder nur zu zweit spazierengehen darf oder nur ein befreundetes paar zu Gast haben darf etc pp.
Im übrigen helfe ich mehr als sonst Menschen in Not, weil es mehr davon gibt, So gut ich kann. Ich grüße die Erntehelfer und wer immer sich mir zeigt, freundlich lächelnd, wechsle ein paar Worte. Kurzum, ich versuche mich in Normalität und unterdrücke meinen Zorn und meine Sorge, dass das Wirtschaftssystem ganz zusammenbricht und wir echte Not erleiden.
Die Vorstellung peinigt mich, dass ich womöglich nie mehr meine deutschen Anverwandten und Freunde, die ebenfallls betagt sind, besuchen kann, da ich das Impfen ablehne, Auch generell fehlt mir das Reisen.
Liebe Grüße! Gerda
So viele Sachen sind zurzeit leider Glaubenssachen. Ich teile viele deiner Überzeugungen nicht. Aber das ist auch nicht nötig, wenn es darum geht zusammen zu stehen. Du glaubst wirklich, alles könne zusammenbrechen? Auf die Idee bin ich nicht einmal gekommen. Die Sterblichkeitsrate ist zu gering, es könnte unser Leben verändern, aber es nicht beenden. Und ich denke, es wird nicht der letzte Virus sein. Wir werden lernen, das Richtige zu tun, um das Schlimmste abzuwenden. Du hältst dies für einen Alptraum? Fünf Jahre auf den Knien in einem russischen Bergwerk Kohle hacken in der Blüte seiner Jahre war der Alptraum meines Vaters. Zweimal nach zwei Weltkriegen so verhungert zu sein, dass man seine Knochen aneinander schaben hören konnte, war der Alptraum meiner Großmutter. Ich muss nicht weiter machen oder?
Auch ich erlaube mir in meinem Alter und aufgrund dessen, was ich auch für die Gemeinschaft geleistet habe, einige feste Überzeugungen zu haben. Das Leben ist so wundervoll wie es gefährlich ist. Ich will bestimmen, wie ich lebe und wann ich gehe. Wenn ich also entscheide, dass mir meine Freiheit es wert ist, die Unwägbarkeiten einer gengestützten Impfung auf mich zu nehmen, werde ich das tun. Oder eben nicht. Und in beiden Fällen die Konsequenzen tragen. Aber so war doch unser ganzes Leben oder? Entscheidungen treffen und die Konsequenzen tragen? Was ist neu daran? Wir haben noch niemals in einem perfekt ausgewogenen gerechten Umfeld gelebt. Gibt es das überhaupt?
Wir brauchen keine lebbare Alternative sondern eine gemeinsame Anstrengung, um alle so viel von unserem Leben wieder zu bekommen, wie es geht. Alles wird nicht gehen. Manches wird eine schöne Erinnerung bleiben. Dafür wird sich Neues auftun, Ungeahntes. Dafür sollten wir offen und bereit sein.
Noch finde ich das ganze sehr entschleunigend. Vermutlich wird das, durch den vorrausichtlich halbwegs ausfallenden Weihnachtsstress auch noch anhalten. Ich habe mir diesen November weit schlimmer ausgemalt (Home Office, Dauergrau, Nebel, Dunkelheit). Bisher ist es anders gekommen.