Meine Reise zu Morgenstern

Aufder Reise zu meinem Christian Morgenstern Kalender stolperte ich über den Stein der Unsinnspoesie.
Der Ausdruck Unsinnspoesie bezeichnet die Gesamtheit autorisierter oder mündlich überlieferter poetischer Literatur ohne einen anderen erkennbaren Sinn als den des Spiels oder der des Unsinns – soweit Wikipedia.

Mein Vater liebte Ringelnatz und Morgenstern und wir Kinder konnten seine Favoriten auswendig.

Aber Unsinnspoesie ist viel älter und wird viel weiter gefasst. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben – hier kommen ein paar Beispiele, die auch euch hoffentlich Freude machen.

Abzählreime

Ich und du, Müllers Kuh, Müllers Esel, das bist du.
Gibt es hier jemanden, der ihn nicht kennt?

Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben,
wo ist meine Braut geblieben?
Ist nicht hier, ist nicht da,
ist wohl in Amerika.
Ene, mene, meck,
und du bist weg.

Bonifazius Kiesewetter und die Wirtin

Ein Gedicht mit einer streng einzuhaltenden Form und einer Moral. Diese recht zotigen Gedichte entstanden zur Kaiserzeit.

Ähnlich sind später auch die „Frau Wirtin“ Gedichte, an die ich mich aus meiner Kindheit erinnere.

Bonifazius Kiesewetter war ein Schweinehund seit je.
Und so schiss er der Baronin heimlich in das Portemonnaie.
Hin zu einem Bücherladen lenkt sie ihren Schritt indes,
kaufte, da sie hochgebildet, etwas sehr Ästhetisches.
Als die Dame zahlen wollte, und sie zahlte stets in bar,
griff sie in die blanke Scheiße, was ihr äußerst peinlich war.

Moral und christliche Nutzanwendung:
Nur ungern nimmt der Handelsmann
statt baren Geldes Scheiße an.

*

Frau Wirtin hat auch einen Arzt,
der Opernmelodien farzt.
Da ist er Virtuose,
doch wenn er Wagner blasen soll,
dann geht es in die Hose.

Leberreime

Enstanden im frühen 17. Jahrhundert wahrscheinlich als schnell improvisierte Scherzgedichte und als Trinkspruch.. Sie alle beginnen mit „Die Leber stammt von einem Hecht und nicht von….“.

Die Leber stammt von einem Hecht und nicht von einem Zander,
die Gräten schaff ich nicht allein, wir essen miteinander.

Die Leber ist von keinem Hecht, sie ist von einem Stier,
und wenn sie nicht ins Forum darf, dann brate ich sie mir
.

Die Leber ist von keinem Hecht, sie ist von einer Milbe.
doch dies wird hier nicht mehr erwähnt, nicht mal mit einer Silbe

OK, jetzt könnt ihr einfach weiter machen…

Klapphornverse, Limericks, Moritaten, Parodien, Zungenbrecher – sie alle gehören zu den Unsinnsgedichten. Ob ich alle poetisch nennen würde?

Weiter zu den Palindromen.

Das einzige, was ich schon als Kind kannte, war das mit dem Neger und der Gazelle. Nicht mehr politisch korrekt. Aber trotzdem nett. Ein Neger mit Gazelle zagt im Regen nie. Viel schöner ist ja aber auch: Die Liebe ist Sieger, stets rege ist sie bei Leid.

Es gibt phonetische und Zahlenpalindrome und keines macht irgendwie mehr Sinn als das andere. Nur Spaß.

Schüttelreime

Hier wähle ich mal ein Beispiel, mit dem die stumpfen oder klingenden Kadenzen erklärt werden.

„Er würgte eine Klapperschlang’, / bis ihre Klapper schlapper klang.“ (stumpf)

Es klapperten die Klapperschlangen, bis ihre Klappern schlapper klangen. (klingend)

OMG, ich komme aus dem Grinsen nicht mehr raus. Was für ein Schwachsinn. Wundervoll.

*

Etliche Autoren haben Unsinnspoesie geschaffen. Komiker, Künstler, Schriftsteller, Musiker. Bevor wir uns endgültig Morgenstern zuwenden, hier mein Lieblings-Ringelnatz.

In Hamburg lebten zwei Ameisen,
Die wollten nach Australien reisen.
Bei Altona auf der Chaussee
Da taten ihnen die Beine weh,
Und da verzichteten sie weise
Denn auf den letzten Teil der Reis
e.

So will man oft und kann doch nicht
Und leistet dann recht gern Verzicht.

Die letzten zwei Zeilen sind sicherlich eine Altersweisheit.

In Christian Morgensterns humorigen Gedichten steckt oft auch viel Ernst und Kritik. Als ich anfing, Gedichte für einen Kalender zu suchen, mussten sie zwei Kriterien erfüllen: Leicht sollten sie sein, Spiel statt Ernst, einfach Freude machen. Und kurz mussten sie sein. Wenn auch letzten Endes auch kurze Gedichte gekürzt werden mussten.

Einige hat er für Kinder geschrieben, aber Achtung, einige enden überhaupt nicht kindlich.Viele gehen zu Herzen, sind einfach liebenswert. Davon kam dieses in den Kalender.

Manche sind sprachlich einfach nur – was? Quatsch? Witzig? Oder doch auch ein wenig gruselig? `Die Bebilderung des nächsten war im Übrigen eine Herausforderung. Wie findet ihr sie?

Tiere kommen überhaupt andauernd vor. Da berühmteste ist wohl das Nasobem, um das es bei mir aber nicht geht. Dafür geht es um Emsen. Diesen Unsinn liebe ich besonders. Und ich weiß nicht einmal, was mich so anspricht. Wahrscheinlich der absolut sinnfreie Blödsinn.

Und schließlich geht es um so völlig abstruse Situationen, dass man sich fragt, wie denn üüüberhaupt jemand auf so etwas kommen kann.

Ein verstorbner Menschenstrumpf?

Na ja, geht schon noch. Das Mondkalb spaziert durch viele seiner Gedichte. Aber Tafelmond und Mondamin?

Ich hoffe, ihr habt wenigstens ein paar Mal gegrinst. Oder schlagt mal wieder seine Gedichte auf. Stehen bestimmt im Regal.

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