Das Anwesende des Abwesenden

Ausstellungsausflug nach Frankfurt. Ich wollte diese Ausstellung alleine wegen ihres Titels schon die ganze Zeit sehen. Nun waren es die letzten Tage und wir erkundeten die wenigen, aber großflächig ausgestellten Werke/Installationen im Frankfurter Kunstverein, die alle irgendwie zu dem Titel passten. Es ging um Vergänglichkeit, das Spuren/Zeichen setzen von Menschen im Bewusstsein der Zeit und – bei Interesse bitte den Ausstellungstext lesen.

Mich hat am meisten ein Film über den Cretto di Gibellina beeindruckt. 1968 machte ein Erdbeben vier sizilianische Dörfer dem Boden gleich. Es wurde beschlossen, diese Dörfer nicht wieder aufzubauen, sondern neue Städte in ihrer Nähe entstehen zu lassen. Über den Trümmern von Gibellina setzte der umbrische Künstler Alberto Burri ein ca. 1,60 Meter hohes Betonrelief „Il Cretto“ und zeichnet damit auf einer Fläche von 300 x 400 Metern die ehemaligen Parzellen des Dorfes nach, eine gespenstische Erinnerung an verlorene Leben und unter den Trümmern begrabene Träume. Resilienz und Hoffnung demonstriert das neue, grüne Leben, das aus den Ritzen und Spalten des Betons wächst. Der traurigste Teil der Geschichte ist für mich der Verfall des neuen Gibellinas. Voll des guten Willens entstand eine moderne Stadt nach dem Vorbild europäischer Gartenstädte. Am Wiederaufbau waren bekannte Architekten, Bildhauer und Maler des ganzen Landes beteiligt. Auch zahlreiche internationale Künstler stifteten ihre Werke für die Plätze und Anlagen im Ort. Der ambitionierte Plan scheiterte. Die Bewohner, die jahrelang in Baracken lebten, haben das neue Gibellina nie richtig angenommen. Teile der Stadt sind fast 50 Jahre nach dem Erdbeben verlassen und viele Bauten und Kunstwerke verfallen.

Bunter und freundlicher kam die Laserinstallation von Marshmallow Laser Feast daher. Hier geht es um die Entstehung Schwarzer Löcher und das Sterben von Sternen. Astrophysik zum Wohlfühlen. Begleitet vom einem Tieftonwummern und -grollen, das mich an Jahrzehnte zurückliegende Disco Besuche erinnerte, weil es direkt im Magen endet, sauste das Universum um einen herum, bis wir halt verschluckt wurden – wie das bei schwarzen Löchern so ist. Hier seht er den Meinen, wie er sich direkt in die Gefahrenzone begibt.

Dem schwarzen Loch entronnen bummelten wir bei zaghaften Sonnenstrahlen zwischen Dom und Römer durch die neue Altstadt und hatten die Qual der Wahl zwischen Dutzenden von Cafés. Wir entschieden uns für das Kaffeehaus Goldene Waage. Der historische Name hat sicherlich nichts mit den angebotenen Torten zu tun, das drängt sich aber bei dem Angebot zwanghaft auf. Wir bleiben bei Windbeutel und warmem Apfelstrudel und beobachten zur Musik der über das Pflaster ratternden Trolleys einen Moment den Touristenverkehr. Am Nebentisch klärte eine junge Dame, die schon seit Ewigkeiten an einem Himbeertörtchen herumgabelte, einen etwa gleichaltrigen, völlig verschüchterten Mann über die Möglichkeiten in seinem Leben auf. Die sozusagen unendlich waren, selbst in seiner Situation und seinem schlechten Zeugnis. Er hat ihr eindeutig nicht geglaubt und schrumpfte stetig weiter in seinem Sessel zusammen, spätestens als sie ihn zur Klärung der Möglichkeiten zu sich nach Hause einlud. An der Kuchentheke versucht ein Engländer sie Sache mit den Beeren zu klären: Ihr wisst schon: Blueberrys, Blackberries, Raspberries, Currants – was war das auf dem Kuchen? Sahne mit Beeren, sagt die Verkäuferin, mit viel Sahne. Er nimmt Tee – mit Sahne, sagt er.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Verwandte Beiträge

Beginne damit, deinen Suchbegriff oben einzugeben und drücke Enter für die Suche. Drücke ESC, um abzubrechen.

%d Bloggern gefällt das: