Der elitäre Anspruch und das große Kino

Hier geht es nicht um Filme wohlgemerkt, sondern um Malerei. Van Gogh Alive: 3000 Werke und Ausschnitte davon flimmern über zahlreiche Großleinwände, Decke und Boden in einer Fabrikhalle. Untermalt von Musik, Zitaten, Animationen.

Digitale Immersion, immersive Experience nennt sich das. Von Kunstkritikern auch betitelt als „Niederschwelliger Zugang, interaktives Spektakel, Reduzierung des Künstlers, groteske Massenveranstaltung, Bombardement statt Kontemplation“.

Hach liebe Kunstkenner und -kritiker: wie hätte der Künstler selbst sich zu Lebzeiten über dieses Interesse der Massen gefreut, war er doch verzeifelt darüber, wie wenige Menschen seine Sicht auf die Farben dieser Welt teilten.

Für Van Gogh Newcomer ist die Installation sicher ein Blick auf Werk und Künstler, der ihm nicht gerecht wird. Für mich, vertraut mit Werk und Lebenslauf, ist es ein Fest für die Sinne. Eine Erinnerung in Großbuchstaben. Ich empfinde Freude, auf Anspruch hatte ich nach der Beschreibung der Veranstaltung nicht gewartet.

Stimmig ist die Musikuntermalung zu den Lebens- und Schaffensphasen. Sparsamste Animation, weit entfernt von ihren Möglichkeiten, betont behutsam Highlights. Zitate des Künstlers, die die Themen der Bilder und die Schaffensphasen unterstreichen und erklären, begleiten das Bad in seinen Werken. Immersion bedeutet Eintauchen. Das kann man hier tun. Sich darauf einlassen und einfach Freude empfinden.

Der Besucher wird zur Leinwand

Für Neulinge vielleicht Ansporn und Auslöser, sich weiter damit zu beschäftigen.

Digitale Immersion, immersive Experiences sind zu einer festen Größe in der Kunstwelt geworden. In Tokio, Shanghai und Amsterdam widmete man ihr eigene Museen. Die diesjährigen Van-Gogh-Installationen in New York, Melbourne und Indianapolis sollen als Dauerausstellungen erhalten bleiben. Für den Direktor des Metropolitan in New York hingegen sind diese Events ein Graus: „Diese multisensorischen Erfahrungen sind keine Kunst- sie sind eine Art Unterhaltung“.

So what?

Sicher vergrößert diese Art „Austellung“ erheblich die Menge der Menschen, die Kontakt zu den Werken des Künstlers erhalten. Wer von euch hat mehrere VanGogh Originale in seinem Leben gesehen? Hatte die Muße zu einer Ausstellung zu reisen? Würde es vanGogh wirklich erzürnen, wenn die Betrachter dieser Events seine Werke als Unterhaltung empfinden?

Ist diese Art Vermarktung seiner Kunst tatsächlich weniger angemessen, als der Preis von 85,2 Millionen Dollar, die zuletzt für eines seiner Werke gezahlt wurden, das danach sicher genau einen Menschen erfreuen darf, wenn es nicht sowieso gleich im Tresor verschwindet.

Rennende Kinder, glänzende Augen, staunendes Raunen uind leise klickende Handys unter Van Goghs Sternen und Sonnenblumen – ich denke, er wäre entzückt gewesen.

5 Gedanken zu „Der elitäre Anspruch und das große Kino

  1. Ich habe eine (diese?) riesige Videoinstallation vor einigen Jahren in Athen gesehen und war, wenngleich ein wenig meschugge danach, schwer beeindruckt. Da heute anscheinend alles riesig sein muss, wenn es den Menschen noch ansprechen soll, ist dies schon ein geeignetes Format. Andererseits gebe ich auch den Kunstkritikern recht, die die stumme Sprache der bildenden Kunst unddas sorgfältige Hinschauen verteidigen.

    1. Ich war im Zweifel. Vor allem als mir im Ausgangsbereich die bebilderte Küchenschürze angeboten wurde. Aber auch Kunst folgt dem Markt.
      Ich stamme aus einer Famulie, in der niemals ein Poster an die Wand gehängt worden wäre. So besitze ich wenige, ausgewählte Originale von Künstlern, die ich liebe und mir so gerade leisten konnte (in einem früheren Leben) und zu denen ich eine wirklich besondere Beziehung habe. Sie sprechen mit mir in ihrer stummen Sprache. Aber ist es an mir, den Van Gogh im Gästeklo zu monieren?
      Kunst, Eliten, Massen, Bildung – manchmal habe ich das Gefühl, das es Veränderungen gibt, die so schnell sind, dass ich sie auch intuitiv nicht mehr erfassen kann. Es gibt diese Stelle in Gilbrans Gedicht über die Kinder- „denn ihre Seele wohnt im Haus von morgen, das du nicht besuchen kannst,
      nicht einmal in deinen Träumen.“

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