Die Insel

Gehen wir auf Reisen. Hier gibt es außer grau triefendem Himmel eh nichts zu sehen. Von heute an gibt es den Winter über und vielleicht länger MiniMini Geschichten von der Insel. Den längsten Beitrag dieser neuen Serie gibt es heute. Er stellt „Die Insel“ vor. Von da an gibt es nur noch MiniMinis. Seltsam und winkelig ist das Inselleben. Vielleicht habt ihr Freude daran.

Die Insel ist eine kleine Insel. Eine von Hunderten, die sich vor der schartigen Küste des nördlichen Meeres tummeln. Hier sind die Winter kalt und nass, aber im Sommer bringt eine warme Strömung ein freundliches, mildes Klima, bei dem schon mal die ein oder andere Palme gedeiht. Heute pflanzt niemand mehr Palmen in Kübel. Die Insel hat ihre besten Zeiten lange hinter sich. Einst – also vor dem Vorfall, der die Menschheit schrumpfen ließ und ihr die Reiselust austrieb – gab es hier Fischkutter in dem kleinen Hafen, ein paar Ferienhäuser und ein Touristengeschäft.

Heute legt an der bröckelnden Kaimauer alle vierzehn Tage noch der Dampfer an, der Fähre, Postschiff und schwimmender Krämerladen in einem ist. Der kleine Leuchtturm auf der Anhöhe verfällt und seine idyllisch rote Haube ist einem Sturm zum Opfer gefallen. Genau fünf Leute leben noch auf der Insel.

Tante Lovely residiert in einem der Ferienhäuser, das angeblich einmal eine kleine Schule war – was niemand mehr bezeugen kann – und war die Tante von ganz vielen Menschen, die eben eine Tante brauchten – vor dem Vorfall. Heute trägt sie immer Hut – davon hat sie genau zwei – und sammelt Bücher, die sie in nach Alphabet geordneten Stapeln in ihrem Haus unterbringt.

Dann ist da noch die Neve. Und dann noch Lisbeth. Zwei übriggebliebene Touristen. Schwestern, die aber seit dem Vorfall ihre Namen nicht mehr in einem Zug genannt haben möchten. Was auch kaum einer tut, da niemand da ist. Neve hat sich unten am Hafen niedergelassen. Sie liebt das Meer. Lisbeth hat sich das am weitesten entfernte Haus gesucht an der Anhöhe zum alten Leuchtturm hinauf. Unter den wenigen Bäumen, die die Insel zu bieten hat. Nicht viel mehr als als eine Hütte, aber immer noch mit einem Stromkabel zum Hafengenerator.

Der jüngste Bewohner ist wahrscheinlich Callum. Allerdings weiß niemand genau, wie alt er ist. Dreißig oder vierzig? Callum spricht nicht. Und er redet auch nicht viel. Also mit den Händen und so. Callum hält Ordnung und alles zusammen, was sonst längst auseinander gefallen wäre. Das letzte kleine Fischerboot, das es noch gibt. Den Stromgenerator am Hafen. Die Kaimauer. Den steinigen Weg hoch zu Lisbeths Haus. Den Brunnen. Wasser aus der Leitung gibt es schon lange nicht mehr. Callum trägt immer einen blauen Seemannspullover. Seit Jahren. Tante Lovely glaubt eine Ahnung zu haben, dass er viele davon hat und woher sie stammen.

Die kleine Kirche der Insel hat einen Anbau, aber keinen Glockenturm. Als der halbfertig gebaut war, traf ihn der Blitz und da das allgemein als Omen gewertet wurde, wurden die Reste wieder abgebaut und die Kirche blieb ohne Turm. In dem Anbau wohnt der Pastor. Niemand weiß, ob er wirklich ein echter Pastor war oder irgendetwas ähnliches. Er hatte die meisten der Dorfbewohner, die geblieben waren, unter die Erde gebracht.

Gottesdienste gab es lange nicht mehr. Die Sache mit dem Glauben war sowieso so eine – nach dem Vorfall. Zumindest wurde danach nicht mehr so laut geglaubt. Der schweigsame Pastor wohnt also im Anbau der Kirche und machte manchmal Besuche. Aber nie am selben Tag bei beiden Schwestern.

Erwähnen sollte man noch Oke. Oke war unter all den Seemöwen ein schwarzer Rabe und hatte sich so einen Namen verdient. Er war die Berühmtheit der kleinen Insel. Und lebte recht gut davon.

Da wären wir also. Natürlich passiert nicht wirklich viel auf einer so kleinen Insel. Aber die Dinge passieren. Und so nimmt das Leben seinen manchmal doch recht winkeligen Lauf.

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