Error: Invalid or missing Google Analytics token. Please re-authenticate.

Ein unglückseliger Dichter

Sein Name und die Titel vieler seiner Märchen zaubern der Welt ein Lächeln ins Gesicht. Ein verklärtes Kinderzimmer Lächeln, über das er selbst nicht froh gewesen wäre. Denn seine Märchen waren nur oberflächlich auch Kindergeschichten. Hans Christian Andersen kämpfte hart und erfolgreich darum, dass er auf seinem Denkmal, das zu seinen Lebzeiten gesetzt wurde, nicht von Kindern umringt war. Auf einen Schreiber von Kindergeschichten wollte er nicht reduziert werden – und das zu Recht.

Nun erzähle ich aus meiner eigenen Brust,
ergreife eine Idee für den Älteren – und
erzähle dann für die Kleinen, während
ich daran denke, dass Vater und Mutter
häufig zuhören mögen, und denen muss
man ein wenig für die Gedanken geben!

Viele seiner Märchen richten sich nicht an Kinder, sondern vor allem an Erwachsene. Für Kinder ist vieles unverständlich, zumindest in seiner vielschichtigen Bedeutung. Die Geschichten spiegeln Andersens Leben und seine unglücklichen Erfahrungen, seine Sicht auf Gesellschaft und Natur, auf Liebe und Kunst und mit böser Satire entlarven sie allzu menschliches Verhalten in all seinen Facetten. Seine Märchen sind mit rohen und schmerzhaften Gefühlen durchsetzt, die vor allem durch seine gesellschaftliche und persönliche Ablehnung erzeugt wurden.

Aus: Das hässliche Entlein
Der Kater zum Schwan: Kannst du einen Buckel machen und schnurren und knistern? Nein? Dann darfst du auch keine Meinung haben, wenn vernünftige Leute reden!

Wie fragwürdig seine Märchen für Kinder sein konnten, zeigt sich z.B. in der Geschichte über „Die roten Schuhe“, die in kaum einem Märchenbuch erschienen ist.

Ein Mädchen kann dem einzigen nicht widerstehen, das ihr verboten ist: Einem Paar roter Schuhe. Sie zieht sie zum Tanzen an und als der Tanz endet, hören die Schuhe nicht auf mit ihr zu tanzen. Völlig erschöpft bittet sie schließlich darum, ihr die Füße abzuhacken, bevor die Schuhe sie zu Tode tanzen. Sie endet in einer Kirche: Ohne Füße und beim Gebet.

Geboren in tiefster Armut als Sohn eines Schuhmachers und einer alkoholkranken Wäscherin kämpfte Andersen sein Leben lang um Anerkennung in Künstlerkreisen und in besseren Schichten. Beides blieb ihm lange verwehrt. Erfolglos als Schauspieler und als Sänger kommt er erst zu einer Schulausbildung als ein Gönner, Jonas Colin, der Direktor des Königlischen Theaters in Kopenhagen, auf ihn aufmerksam wird. Ihm verdankt er viel und er blieb seiner Familie verbunden.

Das arme Mädchen traut sich nicht nach Hause am Weihnachtsabend, weil es zu wenig Schwefelhölzer verkauft hat
und kein Geld mitbringt. Es schneit und es ist kalt. An eine Mauer gelehnt, zündet sie schließlich eines davon an.
In ihrem warmen Licht erlebt sie Wundervolles:
Eine gebratene Gans erscheint ihr und schließlich ihre liebenswerte Großmutter.
Nach dem letzten Zündholz stirbt das Mädchen am Weihnachtsabend in dieser Gasse.

Erste Erfolge im Schriftstellerischen werden von seinen Selbstzweifeln gestoppt. Seine Gestalt und sein Gehabe riefen offensichtlich immer wieder zu übelsten Schmähungen auf. Seine Bisexualität führte zu Verwirrung und Abweisungen. Er kämpfte mit Depressionen und Ängsten: Vor Hunden (die Hunde mit den tassengroßen Augen aus dem Märchen „Das Feuerzeug“), vor Bränden (er trug sein Leben lang auf Reisen ein Seil mit sich herum, um sich bei einem Hotelbrand abseilen zu können), vorm Lebendig begraben werden. Er war ein Hypochonder und total erfolgsbesessen.

Erst seine vielen Reisen in Europa und in den Orient veränderten ihn. Er war wie neu geboren. In vielen europäischen Ländern fand er Freunde in Künstlerkreisen und Anerkennung für sein Schreiben. Der Orient beeindruckte in zutiefst. Erst jetzt begann seine große Schaffensperiode: Allein 168 Märchen schrieb er. Dazu Gedichte und Erzählungen. Es finden sich in den Märchen Elemente des Surrealismus und Freuds Idee vom Unterbewusstsein weit vor ihrer Zeit. Mit den vielschichtigen Inhalten und seinem kreativen Umgang mit der Sprache veränderte er auch die Literatur seiner Zeit.

So stiegen sie auf den Wagen,
auf Wiedersehen Vater, auf Wiedersehen Mutter!
Die Peitsche knallte, peng, peng, und fort fuhren sie,
hei wie der Wind
!”

Immer wieder spiegeln seine Themen sein Leben und seinen Gemütszustand. Kälte empfindet er angesichts seiner gesellschaftlichen Ablehnung, Kälte empfindet er in der rein rationalen Lehre und dem Puritanismus seiner Zeit. Dafür steht auch die Schneekönigin.

Der kleine Kay hat einen Splitter Eis im Herzen, sodass er im Palast der Schneekönigin nur noch stumpfsinnig ein Scherbenpuzzle zusammenzusetzen versucht.
Gefühle hat er nicht mehr.
Er wird von seiner Freundin gerade noch gerettet.

In meinem persönlichen Lieblingsmärchen geht es um Bösartigkeit, Kurzsichtigkeit, um Heimatlosigkeit und Sprachlosigkeit. Aber auch um Zusammenhalt, Tapferkeit und Magie. Und darum, dass trotz allen Einsatzes nicht immer alles perfekt gelingt. Eine unwiderstehliche, märchenhafte Mixtur.

In „Die wilden Schwäne“ wird eine Königstochter verstoßen und ihre elf Brüder tagsüber in Schwäne verwandelt.
Die Schwester muss schweigend elf Nesselhemden mit bloßen Händen weben, um den Fluch rückgängig zu machen.
Ein König findet sie im Wald und bittet sie, seine Königin zu werden. Als sie aber weiter stumm nur ihre Nesselhemden webt,
verschreit das Volk sie als Hexe und sie wird auf einem Karren zum Scheiterhaufen gefahren.
Da kommen elf Schwäne geflogen und setzten sich auf den Karren. Sie wirft die Nesselhemden über sie, es werden wieder Menschen und alles wird erklärt.
Nur mit dem letzten Hemd konnte sie nicht fertig werden, sodass der jüngste Bruder einen Schwanenflügel behielt.

Ich habe nur einmal in meinem Leben ein altes Buch aus Familienbesitz professionell restaurieren lassen. Das hat ein kleines Vermögen gekostet und 6 Monate gedauert. Das Andersen Märchenbuch mit 100 Bildern von Ruth Koser-Michaels hat ein Copyright von 1938 und wurde in meinem Geburtsjahr 1954 in Deutschland gedruckt. Und es erklärt mein Interesse am Schriftsteller und den außergewöhnlichen Märchen. Die neuen Illustrationen waren mir möglich durch die Existenz einer KI und eines Bildbearbeitungsprogramm auf dem neuesten Stand.

Den Kalender dazu gibt es z.B. hier.

2 Gedanken zu „Ein unglückseliger Dichter

  1. „Sein Name und die Titel vieler seiner Märchen zaubern der Welt ein Lächeln ins Gesicht. “

    Da habe ich zumindest viel eher ein Schlucken im Hals und ein Tränechen im Augenwinkel. So schön seine Märchen sind, so unglaublich schmerzhaft sind Andersens auch, zu wenig verfängt heutzutage die Vertröstung auf das Jenseitige.

Schreibe einen Kommentar zu Sonja Antwort abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ähnliche Beiträge

Beginne damit, deinen Suchbegriff oben einzugeben und drücke Enter für die Suche. Drücke ESC, um abzubrechen.