Eine Geschichte über Geschichte, Kunst und eine Tänzerin

Schon in meiner Kindheit strich ich vorsichtig mit meinen Fingern über ihre Gesichtszüge, bewunderte ihre Anmut im wechselnden Licht und verliebte mich. In eine Tänzerin.

Lange zuvor

Am 6. Dezember 1912 fand ein deutscher Ägyptologe in der Stadt Amana die Büste der Nofretete. Und löste damit eine Welle des allgemeinen Interesses am alten Ägypten aus. Allerdings hatten sich schon vorher viele Künstler dieser Zeit mit der ägyptischen Kunst beschäftigt. Zu ihnen gehörte Bernhard Hoetger.

Intro: Der Künstler

Hoetger hat es in den Augen der Allgemeinheit nie zu einem der wirklich großen Künstler der Epoche geschafft. Zu sehr änderte er immer wieder seine Schaffensrichtung und beschäftigte sich von der Malerei bis hin zur Architektur mit verschiedenen Ausdrucksformen.

Dabei schuf er im Laufe seines Lebens bedeutende Werke. Dazu gehört ganz sicher der Platanenhain mit Dutzenden von EInzelstücken zum Thema „Schattenseiten“ auf der Darmstädter Mathildenhöhe, der Künstlerkolonie, die Herzog Ernst Ludwig von Hessen Darmstadt 1899 gründete. Er plante mit Hermann Bahlsen eine ganze Stadt, die TET Stadt, als Gesamtkunstwerk. Seine frühe, enge Bekanntschaft mit Paula Moderson Becker führte ihn in das Künstlerdorf Worpswede, wo er drei spektakuläre expressionistische Backsteinhäuser schuf, einschließlich des berühmten „Kaffee Verrückt“. Dazu kommen viele Figuren, einschließlich eines Steinbuddhas und die lebensgroße Skulptur für das Grab Paula Modersohn-Beckers.

Zusammen mit dem Kaffeekaufmann Roselius als Finanzier schuf Hoetger mit Runge und Scotland das gesamte Ensemble der Boettcherstraße in Bremen mit all ihren Einzelkunstwerken. Aber diese Geschichte wird hier zu lang.

Hoetger liebäugelte mit den Nazis. Einige Kunstwerke der Böttcherstraße werden als Zugeständnisse gewertet, die Böttcherstraße zu retten, die Hitler letztendlich als ein Zeugnis der „Periode des Verfalls“ unter Denkmalschutz stellen ließ. Hoetger Kunst wurde indes als entartet gewertet, er wurde aus der Partei ausgeschlossen.  Alles in allen eine irrwitzige Geschichte, der es sich nachzuspüren lohnt.

Zusammenführen: Ella von Carlsberg, die Tänzerin

Sent M’Ahesa, mit bürgerlichem Namen Ella von Carlsberg, war eine Ausdruckstänzerin, die in den 1920ern ein breites Publikum begeisterte. Sie studierte Ägyptologie und fand in der altägyptischen Kunst ihre Anregungen für Posen und Kostüme. Sie wurde von vielen Künstlern wie Max Beckmann oder Adolf Münzer porträtiert.

Der griechische Schriftsteller Nikos Kazantzakis sah sie 1923 in Berlin tanzen und schrieb „Seitdem ich Sent M’Ahesa tanzen sah, will ich keine andere Art von Tanz mehr sehen. Ich sah dessen höchste Form.“

Die Begegnung zwischen Ella von Carlsberg und Hoetger führte zur Schaffung seines wohl bekanntesten Werkes. Er schuf 1917 einen Bronzekopf als ihr Porträt, der heute als Ikone der expressionistischen Plastik gilt. Die Einflüsse seines Wissens über alte Ägypten sind unverkennbar. In Zeiten des Ketzerkönigs Echnaton wurden Prinzessinnen wahrscheinlich bereits im Kindesalter Köpfe und Hälse im Sinne des herrschenden Schönheitsideals deformiert. Zusammen mit Sent M’Hesas ausdrucksstarken Gesichtszügen entstand ein einmaliges Kunstwerk.

Hoetger schuf später in seiner Schaffensperiode 1921 eine fast lebensgroße Ganzkörperstudie der Tänzerin. Bei dieser Bronze ihr ist nichts mehr zu spüren vom ägyptischen Einfluss, die Statue will der Ausdrucksform der Tänzerin gerecht werden und steht wiederum für eine neue Werkperiode des Künstlers.

Es gibt wohl nur drei Abgüsse der Statue. Eine steht in Dortmund Hörde, dem Geburtsort Hoetgers, eine weitere in Worpswede und eine dritte in unserem Garten. Sie begleitet mich schon ein Leben lang und ist ein gutes Stück mit mir gewandert. Ich war dabei, als meine Eltern sie in einer kleinen Sylter Galerie entdeckten. Woher sie kam, weiß ich nicht mehr. Auch nach dem Tod meiner Eltern konnte ich mich nie von ihr trennen. Sie ist ein Stück Geschichte, ein Stück Kunst, ein Stück meiner Geschichte. Eine Geschichte, die auch erzählt von meiner Verbindung zu Worpswede und seinen Künstlern und meiner Faszination von der Darmstädter Mathildenhöhe und dem Platanenhain. Von dem man sagt, dass viele seiner Figuren Sent M’Ahesas Gesicht tragen.

Ein Gedanke zu „Eine Geschichte über Geschichte, Kunst und eine Tänzerin

  1. Was für ein schöner Eintrag, Ola! Danke für all die mir bis dato unbekannten Informationen und vor allem für deine wunderbaren Fotos der geliebten Skulptur.

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