Eisgrau. Ein November Tagebuch

5. November 2020

Eisgrau ist der Himmel. Und der erste Bodenfrost bedeckt Wiesen und Dächer. Noch steigt Nebel aus dem Wald, aber es sieht so aus als würde dieser Tag sich bemühen ein echter November Vorzeigetag zu werden. Schon die letzten zwei Tage haben sich farbtechnisch so unglaublich entwickelt!

Treffe Nachbarn beim Hundespaziergang und alle zücken die Handys, um zu zeigen wie unglaublich der Himmel gestern war an der Hohen Straße und wie fantastisch der Ausblick auf das bunte Laub oben beim Waldkindergarten. Hinterher überlege ich, dass wir bei der gegenseitig Fotos Guckerei sicher nicht immer 1,50m Abstand hatten. Auch mit dem Polier der Baustelle vorm Haus schwatze ich unangemessen nah durch Autofenster. Für einen Moment einfach vergessen. Blöd. Aber es waren gute Momente. Wie kann „normal“ sich nur so unglaublich gut anfühlen. So frei.

Alice macht sich heute früh präsidiale Gedanken und ich gebe zu, noch vor meinen Mails die Nachrichtenseite aufgerufen zu haben. Noch gibt es Hoffnung. Aber was für eine Schande für etwas, das sich – noch – Demokratie nennt. Wenn in wenigen Tagen alle Autokraten der Welt beginnen Glückwünsche an Trump zu senden, was tun dann die Demokratien dieser Welt? Ob sich irgendjemand trauen würde, nicht zu gratulieren?

Mein Glücksmoment heute ist ein Rückzug. Weg von allem da draußen .

Drück, Duft, Glück

So ein ganz persönlicher Glücksmoment, ganz nah an sich selbst, unnötig und deshalb purer Luxus, zum Verwöhnen und um mit einem einzigen Fingerdruck die Welt um sich herum ein wenig umzugestalten – das ist für mich Parfum. Ein kleiner Ausflug in die Welt der Düfte.

Gerade neulich habe ich ein Parfum gefunden, das zu denen gehören wird, die in meinem Leben bleiben. Davon gibt es ein paar, die meisten kommen und gehen, werden schnell oder langsam aufgebraucht nach Lust und Laune. Drei dürfen es mindestens sein, die ich je nach Tageslust und -laune zur Auswahl mag. Ein kleiner Luxus, darüber morgens zu entscheiden. Einige wenige bleiben für immer.

Das neue ist eines, das man Love-Hate-Parfum nennt. Es polarisiert extrem. Auf der Hater Seite kommen da Beschreibungen wie Friedhofserde, Moder, nasser Dschungel, verwelkt, Grunge und Gothic. Es gibt Düfte, die sind so ungewöhnlich in der Komposition, dass man sich schwer annähert.

In der Beschreibung finden sich in der Kopfnote schwarze Trüffel, Bergamotte, Johannisbeere. In der Herznote Lotus und schwarze Orchidee, in der Basisnote Balsam, Patchouli, Vanille und Weihrauch.

Black Orchid von Tom Ford ist ein starkes Parfum. Eingeführt als Damenparfum ist es inzwischen ein Unisex Duft, von mehr Männern als Frauen getragen. Haltbarkeit und Sillage (Duftspur) sind extrem. Man muss es mit Vorsicht auftragen, am besten ins Haar, wo es sich nicht noch mit Wärme und Hautgeruch weiter entwickelt. Männer sagen, der Duft sei zu stark für eine Frau und Frauen finden ihn an Männern zu gefährlich.

Er startet tatsächlich sehr herb und erdig, wird dann intensiv und süß, narkotisch geradezu. Und beruhigt dann mit einer weichen, zärtlichen Wolke. Es gibt sehr wenige Parfums, die so viel Tiefe haben, die in der Lage sind alle drei Noten dauerhaft gleichzeitig zu vermitteln.

Als ich es das erste mal roch, trat ich instinktiv einen Schritt zurück. Heftig. Fremd, ungewöhnlich, irgendwie ein Angriff. Aber sehr schnell: wundervolle Abhängigkeit, ewige, süchtige Liebe. Mein Liebster formuliert vorsichtig, es sei gewöhnungsbedürftig. Ich vergrabe meine Nase darin und verliere mich.

Ich verwende es nach den ersten Versuchen extrem vorsichtig. Man braucht definitiv Selbstbewusstsein, um es tagsüber zu tragen und sollte mit verwirrten und träumerischen Blicken rechnen. Es ist ein Nachduft, voller Magie und Hexerei. Unfassbar, wie jemand so etwas komponieren kann.

Wenn ich alleine bin, trage ich es auf mein Handgelenk auf, wo es mit jeder Bewegung leben und atmen kann. Glück. Selbstsüchtiges, ganz eigenes, nicht zustimmungspflichtiges, verrücktes Glück.

PS: Da hängt ein wundervoller Hexenmond draußen am Himmel, der die Nacht erhellte und heute früh nicht gehen will.

3 Gedanken zu „Eisgrau. Ein November Tagebuch

  1. Was haben denn Grunge und Gothic auf der Hater-Seite zu tun?-)
    Deine Parfumbeschreibung liest sich äußerst verlockend, wirklich schade, dass mir ausnahmslos jedes Parfum unmittelbar Atemnot verursacht …

    1. nun ja, ist vielleicht das, was sich Leute darunter vorstellen, Aber wieso Parfum und Atemnot? Auch bei Nivea Lotion, Seife oder Bodenreiniger? Parfum ist – außer wenn es explizit draufsteht – praktisch in allem drin…

      1. Ja, nicht nur Parfum, auch Rasierwasser ist schwierig, und ich kann z.B. auch nur SEHR dezente Deos ertragen. Ist auch erst seit ein paar Jahren so, seither aber heftig. Und nein, ich bin der Sache noch nicht auf den Grund gegangen, vermeide nur tunlichst entsprechende Kontakte.

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