Meine schönsten unbekannten 2020

Ja, tatsächlich, es gibt auch gute Rückblicke 2020.

Ich habe eine Pinwand, an der ich Gedichte, die ich nicht kannte oder wieder vergessen habe und die mir wirklich wirklich gut gefallen haben, einfach anhefte. Damit sie eine Weile um mich herum sind. Und ich sie des Morgens immer wieder, ein paar Mal, lesen kann. Die neuen, die wieder gefundenen, die bekannten (das ist aber ein anderer Post).

Viele wurden sicherlich von Sonja und Christiane gefunden. Oder von anderen, die mir beim Finden zum Gutfinden geholfen haben.

Aus tausend Quellen quillt die Nacht

Aus tausend Quellen quillt die Nacht
Und übernimmt den Himmel unsrer Träume.
Da ist ein Licht noch – dort noch Bäume,
Dann nichts mehr. Sintflut. Nur noch Nacht.

Aus Ozeanen ohne Licht erheben sich Gedanken,
Wie Meerestiere schwimmen unsre Träume
Mit schweren Flossen durch die Finsternis der Räume
Und kreisen um die Hoffnungsschiffe, die versanken.
Guido Zernatto

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Dorthin geh, wo die Andern nicht sind

Dorthin geh, wo die Anderen nicht sind,
Weit hinaus in die freie Einsamkeit,
Wo dir Wolken, Berge, Bäume und Wind
Großes reden von Später und Ewigkeit.

Und dort schöpfe, fasse und füll dir die Brust,
Daß – kommt einst die Stille zu dir als Braut –
Daß du die Hand ihr gibst in tiefster Lust,
Weil du schon lange mit ihr vertraut.

Joachim Ringelnatz

*****

Tränen, Tränen, die aus mir brechen

Tränen, Tränen, die aus mir brechen.
Mein Tod, Mohr, Träger
meines Herzens, halte mich schräger,
dass sie abfließen. Ich will sprechen.

Schwarzer, riesiger Herzhalter.
Wenn ich spräche,
glaubst du denn, dass das Schweigen bräche?
Wiege mich, Alter.

Rainer Maria Rilke

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Gabe

Der Tag war so glücklich.
Der Nebel fiel früh herab, ich hatte im Garten zu schaffen
Die Kolibris rasteten an der Blüte des Kaprifoliums.
Es gab in der Welt kein Ding, das ich hätte haben wollen.
Ich kannte niemanden, den ich beneiden müßte.
Was Böses geschehen war, hab ich vergessen.
Ich schämte mich nicht zu denken, ich sei, wer ich bin.
Ich spürte keinerlei Schmerz im Leibe.
Aufgerichtet sah ich das blaue Meer und die Segel.

CZESŁAW MIŁOSZ

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